2013 - Geschichte und Gegenwart des musikalischen Hörens

Möglichkeiten und Herausforderungen für neue methodische Zugänge

Internationales Symposium des Fachbereichs „Historische Musikwissenschaft und Musiktheorie“
in Kooperation mit dem Zentrum für Genderforschung

Kunstuniversität Graz: Florentinersaal (Symposium)
MUMUTH Probesaal; Mariahilferkirche (Konzerte)
17.–19.1.2013

Programminformation [Deutsch/Englisch] [pdf]
Folder - Programmübersicht [pdf]

ReferentInnen
Peter Ablinger (Berlin)
Anna Maria Busse Berger (Davis, USA) 
Bruno Gingras (Wien)
Wolfgang Gratzer (Salzburg)
Dieter Gutknecht (Köln)
Ruth Herbert (Oxford)
Martin Kaltenecker (Paris)
Robert Klugseder (Wien)
Rainer Nonnenmann (Köln)
Ulrich Mosch (Basel)
Marion Saxer (Lübeck)
Christiane Tewinkel (Berlin)
Christian Thorau (Potsdam)
Hansjakob Ziemer (Berlin)

Klaus Aringer (Graz)
Stefan Engels (Graz)
Clemens Gadenstätter (Graz)
Klaus Lang (Graz)
Franz Karl Praßl (Graz)
Christian Utz (Graz)

Sektionen
I. Musikalisches Hören im Kontext von Ideengeschichte, musikalischer Praxis und Theorie
II. Kompositorische Intention und perzeptuelle Interpretation: Synergien und Konflikte
III. Aura, Identität, Zeitwahrnehmung: Hören im Kontext vielfältiger Lebenswelten
IV. Zum Wandel des Hörens im Medienzeitalter: Mediale Räume und Rezeptionssituation  

Konzerte

Do, 17.1.2013, 20 Uhr (Mariahilfer Kirche)
Werke von Peter Ablinger und Klaus Lang
Cantica de terra aliena - Gregorianische Gesänge
Choralschola des Instituts für Kirchenmusik und Orgel, Grazer Choralschola
Leitung: Franz Karl Praßl
Klaus Lang, Aleksej Vylegzhanin, Orgel
Studierende des Masterstudiums „Performance Practice of Contemporary Music“
Programmheft

Fr, 18.1.2013, 20 Uhr (MUMUTH Proberaum): Dialog zwischen neuer und alter Musik
Werke von Mathias Spahlinger, Guillaume Dufay, Brian Ferneyhough, Christopher Tye, Carlo Gesualdo, Salvatore Sciarrino
Pirio Kalinowska, Alt
Jarmila Paclová, Cembalo
Studiochor der KUG
Blockflötenconsort der KUG (Einstudierung: Michael Hell)
Studierende des Masterstudiums „Performance Practice of Contemporary Music“ (Leitung: Milia Radivojevic)
szene instrumental (Leitung: Wolfgang Hattinger)
Programmheft

Die Geschichte des musikalischen Hörens bildet seit den 1990er Jahren einen zentralen Aspekt musik- und kulturwissenschaftlicher Forschung, aber auch einer als zunehmend notwendig erkannten Ökologie der auralen Umwelt, wie sie etwa erst jüngst in Rahmen von „Linz – Kulturhauptstadt Europas 2009“ eingehend thematisiert wurde und dort u.a. zur Verabschiedung des akustischen Stadtentwicklungsprogramms „Linzer Charta“ geführt hat. Auf dem Gebiet historischer Forschung hat James Johnsons bahnbrechende Studie Listening in Paris. A Cultural History (1996) den Weg für eine Anzahl exemplarischer Fallstudien zu historischen Hörtraditionen und -praktiken geebnet. Die Komplexität und vielfältigen Herausforderungen, die in sich bei dieser Art der Forschung stellen, erfordert einen interdisziplinären Ansatz, der Psychologie, Soziologie sowie die Historizität und die gesellschaftliche Konstruktion musikalischen Hörens ebenso berücksichtigt wie das Verhältnis von musikalischer Struktur und Hörerfahrung (vermittelt nicht zuletzt durch musiktheoretische Schriften), die Bedeutung von Klangraum, Medien und technischer Klangreproduktion sowie das Spannungsfeld zwischen konventionellen Hörerwartungen und „historischem“ Musizieren – ein Feld, in dem die historisch informierte Aufführungspraxis unser Verständnis älterer Musik nachhaltig geprägt und verändert hat. Diese Vielfalt von Ansätzen und Herausforderungen macht die Symposiumsthematik zu einem idealen Explorationsfeld methodologischer Reflexionen. Die mit dieser Thematik verknüpften Fragen sind zwar wesentlich im Bereich der Musiktheorie sowie der Historischen und Systematischen Musikwissenschaft verankert, werfen aber darüber hinaus auch in hohem Maße gesellschaftliche und politische Fragestellungen auf – berühren mithin einen Bereich, in dem sich musikbezogene Forschung mit allgemeinen Aspekten kulturellen und sozialen Lebens verbinden kann.
Phänomene des musikalischen Hörens wurden im Rahmen der Musikwissenschaft vorwiegend im Bereich der Rezeptionsforschung und Wirkungsästhetik beleuchtet. Dies geschah notwendigerweise vorrangig auf Basis indirekter Quellen wie etwa Rezensionen, Konzertkritiken und Berichten über das Musikleben verschiedener europäischer Metropolen. Diese Forschung ist historisch auf die vergangenen 200 Jahre limitiert, da sich eine kritische Rezeption musikalischer Werke im Grunde erst ab dem 19. Jahrhundert feststellen lässt. Die Geschichte der Musiktheorie spielt daher eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion von Hörmodi aus historisch weiter zurück liegenden Epochen, wobei theoretische Traktate vor ca. 1750 Fragen des Hörens selten explizit thematisieren.
Eine Beschränkung auf diese Quellen impliziert üblicherweise eine Vernachlässigung oraler und improvisatorischer Traditionen sowie der „Lebenswelt“ der jeweiligen Epochen und der großen Einflüsse, die sozial-, kultur- und mentalitätsgeschichtliche Konventionen auf die musikalische Wahrnehmung hatten. Die Situiertheit auditiver Wahrnehmung im allgemeinen und des musikalischen Hörens im Besonderen erfordert daher eine multidisziplinäre Forschung, die über etablierte historiographische Methoden hinausgeht. Sie verlangt Methoden, die imstande sind, die fortgesetzt sich wandelnden Situationen des Hörens in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften zu fassen (wie sie z.B. auch im Gebiet ortspezifischer Komposition und Klangkunst akzentuiert werden, so etwa in Peter Ablingers Stadtoper, Graz 2003), und dabei auch virtuelle Hörwelten oder andere weit verbreitete Hörhaltungen der Gegenwart wie etwa die „Absorption“ (Ruth Herbert) zu beschreiben.
Daraus folgt, dass das Symposium auch die Frage stellen wird, welche Aspekte des musikalischen Hörens kulturell geprägt sind und in welchem Ausmaß die musikalische Globalisierung zu einer Diversifizierung oder, im Gegenteil, zu einer Homogenisierung von Hörmodi und -verhaltensweisen geführt hat. Die Interaktion von Mediatisierung und Globalisierung scheint heute einen zunehmend dezentrierten, entorteten, entkörperlichten Hörtypus hervorzubringen, während im Gegensatz dazu die kom­positorische Ästhetik der zeitgenössischen Kunst­musik seit mehreren Jahrzehnten Präsenzerfahrung und Unmittelbarkeit, eine körperliche und auratische Klangerfahrung ins Zentrum gestellt hat. Auch dieser Gegensatz kann gewiss hinterfragt werden und das Symposium zielt somit nicht zuletzt darauf gegenwärtige Diskurse zum musikalischen Hören mit historischer Forschung zu verbinden.

Realisiert mit freundlicher Unterstützung des Landes Steiermark, Abteilung 3 Wissenschaft und Forschung und der Stadt Graz, Bürgermeisteramt.